Der siebte Band der Buchreihe der Paul-Feindt-Stiftung widmet sich dem Standortübungsplatz
Besprechung von Marita Zimmerhof


Mehr noch: Gerade die schweren Fahrzeuge schufen erst den Lebensraum für einige äußerst seltene Arten: In den tiefen Fahrspuren sammelt sich bei Regen das Wasser und gibt dem Urzeitkrebs "Triops cancriformis" in diesen temporären Tümpeln ein ideales Heim. Und auch die Bienenragwurz und das Salz-Hasenohr, eine Orchidee und ein Doldenblütler, profitierten von den martialischen Verletzungen der Grasnarbe, weil sie als Pioniere hier einen Lebensraum finden, den ihnen wüchsigere Arten sonst recht bald wieder streitig gemacht hätten.
Aber das allein ist es nicht, was Osterberg und Innersteaue so besonders macht: Auf einem nur 500 ha großen Landstrich, davon entfallen 280 ha auf den ehemaligen Truppenübungsplatz, stoßen verschiedene Naturräume aneinander. Der nördlichste Ausläufer des Innersteberglands trifft auf die fruchtbaren Lössböden der Calenberger und der Hildesheimer Börde. Einst lagerte im erdmittelalterlichen Trias ein Urmeer die Sedimente für Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper ab. Gesteinsauffaltungen und Erosion formten ein Gelände mit lang gestreckten Hügeln und Tälern; mit geübtem Auge ist es nicht schwer, noch immer Fossilien zu entdecken, die vor Jahrmillionen das Meer bevölkerten.
Heute findet der Spaziergänger in raschem Wechsel Wälder, Hecken und Gebüsch, Obstwiesen, Ackerland, trockenes und feuchtes Grünland, sogar schilfbestandene Teiche, Quellen und einen gemächlich dahinziehenden Fluss.
Kein Wunder also, dass sich bei einer solchen Biotop-Fülle eine große Artenvielfalt ausgebildet hat. Der Paul-Feindt-Stiftung, die vor 20 Jahren vom Ornithologischen Verein (OVH) ins Leben gerufen wurde, ist es gelungen, für den siebten Band ihrer naturkundlicher Betrachtungen als Autoren viele Experten zu gewinnen, die in ihrem Fachgebiet, in diesem Gelände bestens bewandert sind.
Keine Publikation zuvor dürfte so viele Facetten beleuchtet haben. Einer historischen Aufarbeitung der Landschaftsentwicklung stehen persönliche Erinnerungen eines Himmelsthürers gegenüber. Botanisch Interessierte bekommen einen Überblick über die Pflanzengesellschaften, aber auch eine umfassende Auflistung der kartierten Gefäßpflanzen. Dass in einer Abbildung eine Türkenbund-Lilie mit einer Orchis vertauscht ist, ist verzeihlich - verwechseln kann man beide Pflanzen ja wirklich kaum.
Gerade die prächtigen Abbildungen sind es, die Lust machen, das Buch in die Hand zu nehmen und sich festzulesen. Über die Veränderung der Pflanzenwelt im Lauf zweier Jahrhunderte etwa oder „unbekannte Außenseiter": Wie von einem anderen Stern wirken die Myxomyceten, die weder Pflanze noch Pilz sind, sondern Einzeller mit Zellkern. Das Sommerplankton aus den Giesener Teichen ist eine Lebensgemeinschaft, die nur unter dem Mikroskop ihre Schönheit offenbart.
Das Buch nimmt seine Leser mit zu Blau- und Kieselalgen, Grün- und Goldalgen, und wieder sind es die Bilder, die fesseln und in die Texte ziehen. Schon mit bloßem Auge zeigt sich die Schönheit der Flechten. Wer weiß denn, dass die Körper dieser sonderbaren Mischwesen eine Symbiose von Pilz und Alge sind? Der eine Partner besorgt das Wasser und gibt die Form vor, der andere kümmert sich um die Photosynthese. Flechten wachsen nur wenige Millimeter im Jahr, reagieren auf Umwelteinflüsse sehr empfindlich, so dass sie sogar als Indikatoren für Umweltbelastungen dienen. Mehr als ein Dutzend Arten hat das Gebiet zu bieten.
Wer sich für Pilze interessiert, kann allein auf dem Halbtrockenrasen mindestens zwölf Arten von der Roten Liste entdecken; in den Laub- und Nadelwaldparzellen kommen weitere hinzu. Auf dem Truppenübungsplatz wurde 1949 erstmals der Hauhechel-Samtfußrübling gefunden und 1977 als eigenständige Art beschrieben. An Spinnen scheiden sich zwar die Geister: Manche Menschen ergreifen in Panik die Flucht, doch wer sich genauer mit dieser Gruppe der Kerbtiere beschäftigt, kann faszinierende Entdeckungen machen über Paarung, Brutpflege, Beutefang und Netzbau.

Weitere zoologische Betrachtungen widmen sich Käfern, Ameisen und Tagfaltern, Fröschen und Molchen, Eidechsen und Blindschleichen. Auch nach seltenen Vögeln haben die Ornithologen Ausschau gehalten. Bei einigen vergeblich: Rotkopfwürger und Wiedehopf wären heute eine Sensation. Dennoch leben in diesem europäischen Schutzgebiet („FFH", Floren- und Faunen-Habitat) nach wie vor viele Arten, die in der intensiv genutzten Umgebung längst ausgestorben sind. 217 der 2000 nachgewiesenen Tier- und Pflanzenarten stehen auf Roten Listen. Schon deshalb ist es wichtig, die Biotope zu bewahren und nicht wirtschaftlichen oder Freizeitinteressen zu opfern.

Zu Beziehen vom Fachhandel
Zwischen Osterberg und Innerste", 256 Seiten, viele farbige Abbildungen, Band 7 der „Schriften der Paul-Feindt-Stiftung", ISBN 978-3-926247-00-1, Preis: 26,90 Euro.